Der Glasmaler

Peter Felder, ehemaliger Aarg. Kantonsarchivar, würdigt mit folgenden Worten den Glasmaler Felix Hoffmann:

 

Als Felix Hoffmann geboren wurde, befand sich die ganze Kunstwelt im Umbruch: Der Historismus war eben zu Ende gegangen, der Jugendstil trieb seine letzten Blüten und der Expressionismus mit „Brücke“ und „Blauem Reiter“ rückte in den Zenit des Kunsthimmels. Die Akademien hatten ausgedient – anstelle ihrer verflachten Schönheitsnormen trat das subjektive Formgefühl. Aus einem ganz neuen Empfinden für werkgerechtes Schaffen packten Maler und Bildhauer ihre Aufgaben an mit dem Ziel, inhaltlich-seelische Vorgänge möglichst wirkungsvoll darzustellen. Es war eine totale Umkehr. Der illustrative Bildgehalt prägte jetzt die Form, bisweilen mit eindringlichster Härte und Schärfe. Ein tiefer Ernst herrschte in allem künstlerischen Tun. Die serielle Kunstproduktion des 19. Jahrhunderts wurde verdrängt durch individuelles handwerkliches Gestalten, vielleicht am zukunftweisendsten in Graphik und Glasmalerei. Welch glückliche Konstellation für ein Menschenkind wie Hoffmann, dürfen wir Nachgeborenen heute sagen.

Als der 27-jährige Künstler seinen ersten glasmalerischen Auftrag erhielt, hatte er die Feuerprobe mit Radiernadel und Holzschnittmesser längst bestanden. Der junge Meisterschüler war fasziniert von den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten dieser graphischen Arbeitstechniken, die er sich während seiner Karlsruher und Berliner Lehrjahre mit wahrer Versessenheit angeeignet hatte. Allein, Hoffmann blieb nicht bloss ein phantasievoller Schwarz-Weiss-Künstler, sondern fühlte sich zeitlebens als Maler-Graphiker, dessen fruchtbringendes Arbeitsprinzip es war, gleich einem Landmann verschiedene Äcker zu bestellen. Stets hatte der vielbeschäftigte Illustrator die Palette in Griffnähe, um seine Formprobleme mit der Farbe anzugehen, sei es als Tafel-, Wand- oder Glasmaler. Diese mehrgleisige Arbeitsweise mit ihren heilsamen Wechselwirkungen verlieh seinem Schaffen jene erstaunliche Weite und geistige Spannkraft, wobei er die künstlerischen Mittel sehr zielsicher, ja bisweilen mit grosser Kühnheit einsetzte- indes bewahrte ihn sein kritischer sinn vor allzu gewagten Experimenten. Während im Wandbild der Graphiker und der Maler mit zwei Seelen im Kampf lag und um einen inneren Ausgleich zwischen Linie, Form und Farbe rang, obsiegte in der Glasmalerei der Farbkünstler. Hier wusste Hoffmann seine ganze Freude am leuchtenden Kolorit zu entfesseln. Als Autodidakt war ihm dieser Kunstzweig seit früher Jugend vertraut. So bewunderte er schon als Knabe im Aarauer Gewerbemuseum die wie Preziosen funkelnden Renaissancescheiben aus dem Kreuzgang von Muri. Und auf seinen Kunstfahrten durch den Aargau erlebte der Jüngling in den gotischen Chorverglasungen auf dem Staufberg und in Königsfelden erstmals die Zwiesprache von Architektur und Farbfenster. Namentlich die Bildwelt von Königsfelden mit ihrem grossartigen zyklischen Geschehen hatte es ihm angetan – jenes Sehen in grossen Bildzusammenhängen, die Auge und Herz durch Form und Gehalt gleichermassen ansprechen.

Bereits in seinem Erstlingswerk, den 1938 geschaffenen Chorfenstern in Rupperswil, bricht dieser altmeisterliche Gestaltungswille durch. Wie ein mittelalterlicher Scheibenzyklus fügen sich hier Kreuzigung (Mittelfenster), Verleugnung Petri und Fusswaschung durch Maria Magdalena (Nebenfenster) in strenger, achsial symmetrischer Anordnung zu einer beziehungsreichen künstlerischen Einheit. Jedes Fenster ist in sich ein klar gebautes Bildganzes, das thematisch über sich hinaus weist und erst im Ensemble zur vollen Wirkung kommt. Besonders beredten Ausdruck fand die szenische Darstellung im Petrusfenster, wo in der bedrückenden Engnis einer  zeichenhaften Bildarchitektur der reumütige Apostel sein Leid klagt und dabei vom krähenden Hahn sekundiert wird, während im Hintergrund ein grobschlächtiger Scherge mit erhobenem  auf die Gefangennahme Christi zeigt. Das ganze Bildgeschehen gipfelt in der einsamen Gestalt des Erlösers, die als einzige Figur des Fensters uns offenen Auges entgegen blickt. Diese direkte und äusserst prägnante Bildwirkung suchte der Künstler noch mit harten räumlichen Akzenten zu steigern, selbst unter Gefahr, dass die Einheit des Bildgefüges ins wanken geriet.

Hoffmann war sich der Problematik solch raumillusionistischer Wagnis bewusst und besann sich alsbald auf den flächigen Grundcharakter der Glasmalerei, wie dies seine sechs Chorfenster der spätgotischen Aarauer Stadtkirche  eindrücklich demonstrieren. Der im Kriegsjahr 1939 begonnene Scheibenzyklus, dessen Ausführung sich über vierzehn Jahre erstreckte und vom Künstler einen gewaltigen Einsatz forderte, ist eine monumentale  „Biblia pauperum“, die in rund sechzig Einzelszenen mit rund zweihundert Menschen- und Tierfiguren das weitgespannte Heilsgeschehen zwischen der Schöpfungsgeschichte und dem Erlösungstod Christi vor Augen führt. Das von den Stadtpfarrern ausgearbeitete ikonographische Programm erfuhr in Hoffmann einen bibelfesten tiefsinnigen Interpreten. Als erste Werkgruppe schuf 1939 bis 1943 die Chorscheitelverglasung mit dem kleinen Christus- (links), dem grossen Christus- (Mitte) und dem Gleichnisfenster (rechts). Deutlich spürt man hinter den sattfarbigen Bildkompositionen noch die schaffende Hand des Graphikers, der seine scharf konturierten Figurengruppen gleich Holzschnittillustrationen in Szene setzt. Wie sorgfältig dieser technisch-künstlerische Realisierungsprozess vor sich ging, offenbart ein Vergleich der Kartons mit den ausgeführten Fenstern. Jede Form- und Farbposition ist im Entwurf genau festgelegt und wurde – mit der ganzen Vorstellungskraft des Glasmalers – in die Bildscheibe umgesetzt. Hoffmann verfügte dabei über ein ausserordentlich feines Sensorium für optische Valeurs des farbigen Glases. Er war geradezu verliebt in diesen eigenlebendigen Werkstoff, den er sich im Laufe seines erfahrungsreichen Schaffens immer mehr dienstbar zu machen verstand. 

Kaum hatte der 32-jährige Künstler das erste Aarauer Fensterterzett vollendet, erhielt er den Auftrag, für das Berner Münster ein Jesajafenster auszuführen. Diese anspruchsvolle Aufgabe war ganz nach seinem Sinn. Gleichsam im Wettstreit mit den dortigen hervorragenden spätgotischen Glasmaler eine galt es die 13 m2 grosse Fläche eines vierteiligen Masswerkfensters zu bewältigen, dessen Breitformat im Gegensatz zu den Schmalfenstern von Aarau ganz neue Möglichkeiten der szenischen Entfaltung bot. Mit jugendlichem Feuer macht sich Hoffmann ans Werk. Eine erste flüchtige Skizze genügte, um die Fensteridee in allen wesentlichen Punkten zu fixieren. Anstelle von aneinander gereihten biblischen Einzelereignissen schafft der Maler eine übergreifende visionäre Schau, die den gesamten Fensterspiegel erfasst und ihn zur thematischen Einheit verschmilzt. Das gehaltvolle Bildkonzept ist meisterhaft gelöst. In wechselvoller dramatischer Spannung zwischen Sünde, Zusammenbruch, Hoffnung und Goldenem Zeitalter lässt Hoffmann seine vornehmlich blau gehaltenen Menschen- und Prophetengestalten vor dem dunkelroten Bildgrund agieren, während im Bogenfeld des lilienförmig emporstrebenden Masswerks die Strahlensonne der Majestas Dei aufleuchtet.

Das Jesajafenster war der erste entscheidende Durchbruch zu Hoffmanns glasmalerischem Stil, der in der folge nie stagnierte, sondern sich an neuen Aufgaben ständig weiter entwickelt hat. Klug wusste der Künstler seine Erfahrung drei Jahre später in den restlichen Chorfenstern der Aarauer Stadtkirche auszumünzen. Bei aller Wahrung der zyklischen Einheit wird jetzt die Aussage freier und gelöster – und ebenso erscheint die farbige Haltung weniger kontraststark, aber nicht minder differenziert. Während er am Übergang zum Chorhaupt mit dem grossfigurigen Prophetenfenster eine deutliche Zäsur setzt und im darauffolgenden alttestamentlichen Mittelfenster die straffe Monumentalgestalt des Moses ins Zentrum des Bildfolge rückt, schildert er im abschliessenden Genesisfenster mit einer Fabulierfreude ohnegleichen die Schöpfungsgeschichte. Hier war Hoffmann in seinem Element. Mit ursprünglicher Lebendigkeit entströmen seiner Bildphantasie die lapidaren Schöpfungstaten der Genesis und durchziehen Ereignis um Ereignis das Fenster in gleichmässigem Bewegungsrhythmus von der Simsbank bis zum Bogenfeld.: Das amorphe Chaos teilt sich in erde und Meer, Pflanzen spriesen und wuchern, Gestirne ziehen am Firmament auf, Fische, Vogel und allerhand Getier tummeln sich mit Lebenslust, und schliesslich erscheint zuoberst, als Krone der Schöpfung das erste Menschenpaar, das sich durch die Erbsünde das Paradies verscherzt und das Kommen des Erlösers heraufbeschwört (Präfiguration zum Chorscheitelfenster mit der Schlüsselfigur des Auferstehenden). Die vom überirdischen Blau beherrschte Scheibe mit der komplementärfarbig hervorzündenden Dingwelt ist ein einziges Hoheslied auf die hintergründige Schönheit der Natur – geschaffen von einem wirklichkeitsverhafteten Augenmenschen, der einmal von sich bekennt:“ Ich bin ein unbelehrbar gegenständlich orientierter Maler, sehe zwar in der formalen Lösung das Primat, aber doch nur die eine Seite der Möglichkeiten, die, wenn sie sauber gearbeitet ist, eine im besten Sinne illustrative Aussage wohl zu tragen vermag.“

Neben der kathedralartigen Chorverglasung von Aarau traf Hoffmann bisweilen für ländliche Gotteshäuser einfachere Fensterdispositionen, wie dies seinem ausgeprägten Sinn für das Angemessene entsprach. Ein besonders eindrückliches Beispiel liefert die mittelalterliche Pfarrkirche auf Kirchberg (Gemeinde Küttigen) mit ihren sieben Bildfenstern, deren zartfarbige Darstellungsmotive jeweils in eine hellgraue Rautenverglasung „eingewoben“ sind. Der besondere Reiz dieser locker gereihten und thematisch verklammerten Bildfolge beruht in der illustrativ ausgeschmückten Einzelszene, die uns zum betrachtenden Verweilen einlädt. Dieses Eindringen in die Gedankengänge des Künstlers zahlt sich allein schon vom Thematischen her reichlich aus, denn Hoffmann war ein glänzender Erzähler, der mit Geist und Gemüt aus der unermesslichen Fülle seiner Erlebniswelt zu schöpfen wusste. Auch besass er, namentlich im Bereich des Profanen, viel Sinn für Humor und für das Groteske, ohne je der Karikatur zu verfallen. Seine Rheinfelder Kindersinfonie und seine Aarauer Bachfischet- und Maienzugbilder sind wahre Freudenfeste einer heilen Welt, doch vergisst man angesichts solch heiterer Kunsteinlagen leicht, wie ernst und besonnen Hoffmann als Mensch und Künstler war. Kein Werk führt diese andere Seite seines Wesens so drastisch vor Augen wie das 20 m2 grosse Stephanusfenster in der Pfarrkirche Spiegel/Bern, wo der grausame Tod des ersten christlichen Blutzeugen mitten ins Gegenwarts- geschehen versetzt wird. Die spannungsgeladene Bildkomposition zeigt die Riesengestalt Stephans unter einem Steinhagel zusammenbrechend, rings umgeben von den brutalen Peinigern und von gleichgültig abseits stehenden Menschen aus unserer selbstgerechten Alltagswelt. Lebhafte Rot-Blau-Kontraste untermalen dieses heftige Bildgeschehen, während sich der schwarze Hintergrund des sterbenden Märtyrers vom  goldenen Lichthimmel abhebt. Das Ganze ist eine zeichnerisch und farblich bis ins letzte ausgefeilte Flächenkomposition, in der sich die Werk- und die Kunstform vollkommen decken.

Vom Stephanusfenster führt die Entwicklung in gerader Linie über die beiden Sagen- und Brauchtumsfenster in der Aargauischen Kantonsbibliothek zum Chorfenster der Pfarrkirche Windisch. Das österliche Thema, von Hoffmann mit Vorliebe verwendet, erfuhr hier eine letzte Läuterung und Verklärung. Wie ein Lichtblitz erscheint der Engel den drei Marien, die am offenen Grabe erstaunt und angstvoll dem Himmelsboten gegenüber stehen. Das wunderbare Ereignis mit dem beziehungsreichen Spiel von Blick und Gebärden vollzieht sich in grösster Freiheit und lässt einen vergessen, wie viel Mühe und Arbeit es den Künstler gekostet hat, diese asymmetrische Bildkomposition der strengen zweiteiligen Masswerkform restlos zu integrieren.

Im Spätschaffen Hoffmanns werden die kubistisch wirkenden Formstrukturen der Frühzeit völlig aufgezehrt von variatonsreichen Flächenprojektionen, aus denen Kompositionslösungen hervorgehen wie die 17 witzig pointierten Aesop-Fabeln (Rathaus Zofingen) oder die drei orginellen Scheiben mit den ersten Flugmaschinen (Schulhaus Isegüetli, Oberentfelden). Daneben gewinnt im Bereich Sakralkunst die Symbolsprache von Zeichen und Farbe an Bedeutung, um schliesslich in der Chorverglasung der Pfarrkirche Umiken zum Leitmotiv der Bildgestaltung zu werden. Die drei dortigen Fenster, nach Form und Inhalt ein sinnreiches Triptychon, durfte Felix Hoffmann nicht mehr eigens vollenden. Es war ein jähes und schmerzliches Ende, doch bleibt uns die tröstliche Zuversicht, dass all die prächtigen Farbfenster, welche uns der fruchtbare Glasmaler im Laufe von vier Dezennien geschenkt hat, als Hoffnungssterne weiterleuchten!

 

erschienen in: „Felix Hoffmann“ Retrospektive, Aargauer Kunsthaus Aarau, 1977