Der Grafiker

Georg Kurt Schauer schreibt zu FelixHoffmann und seinem grafischen Schaffen:

 

Fritz Helmut Ehmke – einer der Verkünder und Verwirklicher des Werkbundgedankens von 1907, zugleich Vorkämpfer des Funktionalismus bis zu seinem Tod im Jahre 1965 – hat ins Zentrum seiner „Kulturpolitik“ (1947) das „Primat der Graphik“ gestellt. Das Richtbild, der Entwurf, das Werk der schreibenden und zeichnenden Hand war für ihn der Anfang allen Tuns, das Gestalt geben sollte. In allen Sätteln  der Werkgerechtigkeit, der Materialtreue, der Buch- und Schriftgestaltung war er ein weithin sichtbares Vorbild. Wenn Felix Hoffmann ruhig und umfassend – wie es seine Art war -  sagte, er arbeite für den Bau und das Buch, so ist das ein sonores Echo des Werkbund-Denkens unseres Altmeisters Ehmke. Es war der Wand- und Kirchenmaler, der aus seiner leisen Feststellung sprach, der Gestalter der farbigen Fenster, der Sgraffiti und Mosaikfelder – und nicht nur der Zeichner und Schriftmann. Die hier anhebende Betrachtung wird sich nicht mit dem gesamten Schaffen des werkmächtigen Mannes befassen, sondern nur mit seinem Wirken im Buch und auf dem Zeichenblatt. Bereits dies ist ein weites Feld und wird der ganzen Aufmerksamkeit des Sprechers bedürfen.

Meister Felix war ein guter Briefschreiber. Er konnte sich ausdrücken, rasch und deutlich und nie ohne Wärme. Jeder Brief war ein Bild seiner selbst. Die dicht gereihten Zeilen waren voller Klang, beherrscht von den überhohen Mittellängen – dem Kennmal des unablässig Tätigen. Die Ober- und Unterlängen hielten sich fest und dicht an diese kräftige Mittelzone. Es ist die Schrift einer formenden, sicher in sich selbst ruhenden Natur, die ganz und gar nicht vom Intellekt abhängig ist.  Diese Briefe sind ein Abbild eines vollen und erfüllten Lebens.

Drei Stufen des Ausdrucks gibt es in der Graphik: das Bild, das Zeichen und die Schrift. Das Abbild, vielfältig deutbar, mannigfaltig im Ausdruck und eine Idee mit dem Ziel wachsender Bestimmtheit und Inhaltfülle umkreisend, ist nie eindeutig. Das Zeichen dagegen will einen bestimmten Inhalt verkörpern, sinnbildlich als Allegorie oder Symbol – das heisst: eine Empfindung, ein Trieb, eine Regung, eine Eigenschaft wird bildlich ausgedrückt. Beim Symbol, dem bildlichen Ausdruck einer magischen Vorstellung, ist das Anderssagen zauberhaft, eine geglaubte Kraft. Bei der Allegorie ist es lediglich Teil einer Bildsprache, eine Verbildlichung der Begriffe. Es ist offenkundig, dass solche Zeichen – oder Reihungen zum Ornament – recht ungenaue Bedeutungsgrenzen haben. Exakt in viel höherem Grade ist die Schrift, deren Zeichen aus einer Verabredung zwischen Schreiber und Leser hervorgegangen sind.

Alle drei Stufen der Graphik finden wir in Felix Hoffmanns Neujahrsgrüssen, in denen der stetige Grussaustausch zwischen Freunden und Nachbarn zu gipfeln pflegt. Gewiss, solche Karten und Faltblätter können leer oder gar anmasslich sein – wer aber Hoffmanns Festgrüsse über Jahre und Jahrzehnte verfolgt hat, der weiss, wie wichtig unser Graphiker diese Form des Zurufs genommen hat und wie liebenswürdig solche Festgrüsse sein können. Der Berichterstatter konnte etliche 25 Blätter solcher Art, in allen möglichen Formaten, um sich herum auslegen und spürte die Erfindungskraft unseres Meisters, seine Gewissenhaftigkeit im Wünschen, seinen Humor und vor allem, wie ernst er es mit der Nachbarschaft – genauer gesagt: mit seinen Nächsten – meint. Überall ist der Holzschnitt das graphische Mittel, rauh und drastisch und scharfsichtig – bisweilen mit mehreren Farben übereinander gedruckt – viel Spruchweisheit und ein wenig Mozart, Schweizerisches in Bild und Wort, verspielt und nachdenklich, nie unpersönlich – Grüsse eines bezaubernd geselligen Mitmenschen.

Begeben wir uns in die inneren Höfe des graphischen Werkes von Felix Hoffmann, zu seinen Bildfolgen und Illustrationen in literarischen Werken. Wie eine Selbstverständlichkeit beherrscht der Meister die Grundregeln der Bildpartnerschaft im Rahmen des sprachlichen Kunstwerks. Dichter und Bildner sind einander verbunden wie in einem musikalischen Duett. Jeder Partner bringt das zum Ausdruck, was der andere nicht ausdrücken kann, jeweils mit dem ihm eigenen Instrument. Die bildliche Anschaulichkeit und das geschriebene Wort ergänzen einander.

Hoffmanns technisches Instrumentarium ist ungemein vielfältig. Er nutzt den Tonfall und die Klangfarbe seiner Arbeitsmittel, um das Äusserste an Echtheit und Ausdruck zu erzielen. Holzschnitt und Holzstich, Radierung und Kaltnadel – mit Ergänzung in Aquatinta – Zeichenfeder und Stift samt Zusätzen von Grisaille und Deckfarbe – niemals ist die Auswahl zufällig. Höchste Eignung der Technik ist nichts als sicherste Annäherung zum Besucher. In einem Brief aus dem Jahre 1970 zitiert Hoffmann Georg Christoph Lichtenberg: “Es ist fast nicht möglich etwas Gutes zu schreiben, ohne dass man sich dabei jemanden oder eine gewisse Auswahl von Menschen denkt, die man anredet.“ Hoffmann fährt dann fort: “Ich jedenfalls stelle mir immer einen Partner vor, den ich anrede!“ Dies ist für unseren Künstler bezeichnend. Es sind nicht weniger als drei Partnerschaften, die uns bei der Betrachtung seines Werkes begegnen. Wir sehen ihn nicht nur verbunden mit dem Beschauer, dem er sein Werk zuwendet. Er nimmt sich ebenso bedachtsam der Dinge und Menschen, der belebten wie der unbelebten Natur an, die er an sich und in sein Werk hineinzieht. Drittens schliesslich bemerkt der Freund seiner Arbeit, dass der Graphiker sich besonders gern dem Zwiegespräch und jeder Art der Zweisamkeit zuwendet. Ist es da verwunderlich, dass Hoffmann ein leidenschaftlicher Theatergänger gewesen ist und dass er an die dreissig Dialoge auf der Bühne gezeichnet sowie im Holzschnitt verfestigt hat? Es ist, als wolle er das Bühnengeschehen auf eine endlose Folge von Zwiegesprächen zusammendrängen. Er muss in der dialogischen Auseinandersetzung den Kern des dramatischen Geschehens gesehen haben. Hamlet und Don Giovanni, Osborne und Gogol, Camus und Gluck, O’Neill und Richard Strauss, Puccini und Rossini, Hauptmann und Strindberg – was auch immer über die Kantonsbühne von Aarau gegangen ist, hat er festgehalten und tief begriffen. An der Werbung für die Theatergemeinde – für die umschichtig die bekanntesten Theater der Schweiz (aus Zürich, Basel, Bern, Luzern u.a. Orten) zur Verfügung stehen, beteiligte sich Hoffmann, in dem er die Einladungen auf die verschwenderische Weise mit Skizzen und bunten Titelseiten schmückte.

An der Gewerbeschule Basel, in Karlsruhe bei Württenberger und Babberger und schliesslich in Berlin bei Hans Meid hat Felix Hoffmann fast alles gelernt, was ein Graphiker mit der Feder und dem Stichel, mit Radiernadel und lithographischer Kreide auf Kupfer und Holz, Stein und Papier können muss. So kam es, dass in den etwa vierzig Schaffensjahren – neben den zahlreichen Tafel-, Wand- und Glasmalereien – ein überaus buntes Opus graphischer Art entstehen konnte. Im Anfang – und dann zeit seines Lebens  - stattete er Schul- und Jugendbücher mit flüssig niedergeschrie- benen, anschaulichen Federzeichnungen aus. Nach etwa 1950 wechselten die Techniken, den Themen angepasst, häufiger. Kurze Zeit stand die Pinselzeichnung im Vordergrund, dann gewann der mehrfarbige Holzschnitt die Oberhand. Bei der grossen Zahl von ungefähr siebzig Bildfolgen ist es nicht möglich, auf sämtliche Illustrationsreihen genauer einzugehen. Zu allen Zeiten hat es köstliche Einzelblätter neben den Blattfolgen im Buch gegeben. Ein wahrer Schatz der rasch niedergeschriebenen Bildergebnisse sind die Skizzen- und Reisetagebücher, die meistens mit der Feder gezeichnet, Dokumente zeichnerischer Fertigkeit.

Die mit der Nadel geritzten und dann geätzten Radierungen stehen der Federzeichnung am nächsten. Mehrmals hat den Zeichner der liebendwürdige Roman „Amor und Psyche“ zur Bild-Erzählung in dieser wahrhaft epischen Technik verlockt (vgl. die Ausgabe im Verlag Ars librorum, Frankfurt a.M. 1963) Das zauberhafte einer Entrückung wie auch die Modellierung der zierlichen und schmiegsamen Gestalten gelangen in dieser Schaffensweise ebenso wie die Einbettung in die antike Landschaft.

Scharf unterschieden von den Ätzungen sind Hoffmanns gewichtige Einzelblätter und die nicht sehr häufigen Bildfolgen in der Kaltnadeltechnik. Dabei wird die Bildlinie mit dem Stichel direkt in die Kupferplatte geritzt. Das bringt dann im Druck einen starken, seitlich rauhen, schattierten Strich hervor. Diese scharf geprägte Linie hat etwas Herrliches, Endgültiges an sich. Man ist versucht, von schicksalshafter Bestimmtheit zu reden.  Am eindrucksvollsten scheinen mir die zehn Blätter zu dem mittelalterlichen Epos „Der arme Heinrich“ zu sein (1967, unveröffentlicht). Es ist die Geschichte von einem aussätzigen Ritter, den ein kindliches Mädchen, das ihn verehrt, mit seinem Blut gesund zu machen entschlossen ist. Die Ärzteschule von Salerno hielt eine solche Heilung – welche allerdings den Tod der Blutspenderin zur Folge hätte – für möglich. Gewiss, der Kranke hat das Opfer nicht angenommen und der Himmel hat ein Wunder geschehen lassen – aber der Ritt nach Salerno hat stattgefunden und das Opfer war beschlossen. Da ist kein Raum für eine idyllische Erzählung. Das Geschehen ist markiert und sein Verlauf festgelegt.  Doch fehlt es nicht an freundlichen Assoziationen. Die Landschaft gesellt sich zu dem Dahinreitenden – er sieht sie nicht. Die Opferbereite, fast wie im Trancezustand, bleibt ungerührt von der häuslichen Umwelt und verharrt sinnend auf der Kruppe des Pferdes. War bis anhin die Umwelt abweisender Kontrast – bei dem glückhaften Heimritt wird die liebliche Landschaft zum Gefährten.

Die assoziative Bildbereicherung begegnet uns häufig in Hoffmanns Bildkomposition. Sie ist das gedankliche Element in seiner so unmittelbaren, geraden und offenen Aussageweise. Der Holzschnitt nimmt den breitesten Raum in Hoffmanns Werk ein, und zwar meistens als Langholzschnitt in mehreren Farben. Das Bild des linearen Holzstocks ist selten. Ein Buch von Boccaccios Verserzählung „Die Nymphe von Fiesole“ (Trajanuspresse, Frankfurt a.M., 1958) steht vereinzelt da. In den Kopfleisten wie in den seitengrossen Bildern dominiert die gratige Linie. Sie spricht in gleichsam horizontaler Melodik ihre kurzen Anmerkungen aus, die grösseren Bilder sind einfach und flächig, und zwar ohne Perspektive, wodurch die Verserzählung einen Hauch von archaischer Einfalt erhält, so wie es der pastoralen Liebesgeschichte mit ihrer tieferen Bedeutung wohl ansteht. der in erdigen Farben gehaltene Band, gestaltet wie für die Ewigkeit, ist mit seinen heiteren und zugleich tragisch-milden Bildern das rechte Behältnis für die seltsame Geschichte vom Liebestod und von der Gründung der Stadt Fiesole, ein schönes Lied von der Erde. Noch oft hat der grosse Buchgestalter Gotthard de Beauclair – in mehrfacher Abwandlung – den Holzschnitt Felix  Hoffmanns zum symphonischen Sprecher, zum „Illustrator“ (d.h. Verherrlicher) seiner Bücher gemacht.  In Bergengruens Renaissancenovelle „Die drei Falken“ (Trajanus Presse, Frankfurt a M., 1959) folgt der Graphiker dem hohen Pathos der Novelle mit Langholzschnitten in schwerer Farbe. Reich an Erde und Himmel sind die Bilder assoziativ, wie es Hoffmanns Art ist, ganz in die Fläche versammelt.  – Hugo von Hoffmansthals „Lucidor“ (Trajanus Presse, Frankfurt a.M., 1959) – der Gegenwart nahe – ist einfarbig, ein Blockbuch aus weichem Japanpapier, auf dem die barocke Janson-Antiqua brillant und grossformig steht. Da wäre der schwere Farbholzschnitt undenkbar. In Stirnholz spitz gestochen, sind die Bilder feinteilig, teils in drei Ebenen hintereinander gestaffelt – so wie es die stille, tiefgründige Erzählung erfordert. Nicht die plastische Modellierkraft des Holzstiches ist es, die zur Wahl dieser Art des Holzschnittes geführt hat,  sondern die Durchsich- tigkeit der Strichlagen – genauer gesagt: Das Hintereinander der Geschehnisse und der Gefühlsebenen in Hoffmansthals Vortagsweise. Der Künstler folgt dieser Art des Vortrages aufs genaueste.  Man spürt die Aufspaltung, die ausweglose Unüberbrückbarkeit und die Mühsal der Liebenden, deren Sehnsucht schliesslich aber doch den Sieg davonträgt. Selten nur ist der Blick der Abgebildeten auf ein bestimmtes Ziel fixiert. Er geht nach innen oder ins eigene Spiegelbild. Umso bemerkenswerter ist das Schlussbild, aus dem der Blick Lucidors sich fest auf den Beschauer heftet. Der Bann ist gebrochen, die Vereinzelung überwunden. Gemeinsam ist den  drei so verschieden sich aussprechenden Büchern das Novellistische, das aus der Breite des Lebens herausquellende Ausserordentliche. Die Hirtenwelt Boccaccios, die patrizische Gesellschaft der Renaissance und die späte Aristokratie Hoffmannsthals – allen ist die Geschlossenheit gemeinsam, die Gültigkeit des Sittenkodex. Diese Ordnung ist die Gegenspielerin des Individuums. Die Ordnung wird durchbrochen und die Tat ist umso bedeutender, je schwerer dieser Durchbruch ist.

Felix Hoffmann hat auf sinnvoll verschiedene Weise diesen Prozess eingebettet in das Literarische und auf seine bildnerische Weise grossartig zu Ende gespielt. In allen drei Fällen war es die dialogische Auseinandersetzung, die sich in den Seelen zum äussersten entschlossener Menschen abspielt. – Der grossformatige, aus mächtigen Vierfarbenholzschnitten zusammengesetzte Band „Genesis“ (Verlag Ars liborum, Frankfurt a.M., 1965) hat das Schöpfungsdrama zum Vorwurf, höchst gegenständlich kumuliert und zusammengedrängt in der Welt des Lebendigen, grossartig abstrahierend in der Verwirklichung der Vorzeit des Werdens von Licht und Leben. Die in die Tiefe greifende Kraft des Ausdrucks der farbigen Langholzschnitte bestimmt auf weite Strecken hin Hoffmanns Schaffen als Illustrator. Diese Art ist keineswegs auf einen Nenner zu bringen. Sie ist so wandelbar, wie es das Thema erfordert. „Das Hohe Lied“ (Flamberg Verlag, Zürich, 1964) sprüht und glüht von südlichen Farben, von Sonnenlicht und fruchtigem Rot. – Andersens „Der standhafte Zinnsoldat“ (Aargauer Tagblatt, Aarau, 1960) ist wie vom Tageslicht abgeschirmt. Die gleichsam von Zauberhand zusammengeschobenen Bildelemente sind in subtil gebrochene Farben gehüllt. Alles ist eingeschachtelt und eingetaucht in eine unwirkliche Märchengegenwart. Der Ablauf der freundlich-traurigen Erzählung von dem einbeinigen Soldaten und der Tänzerin wird dadurch zu einem filmischen Abenteuer von mehrfach akzentuierter Turbulenz. Der Bezug des zierlichen Blockbuchs in Kleinquart ist nichts weiter als ein eingefärbter Brettabzug, aus dessen Farbe etliche Zinnsoldaten und Abbildungen der kleinen Tänzerin herausgeschabt sind. – Das Märchen der Brüder Grimm von der Erzzauberin im tiefen Wald, bei der die Jungfrau Jorinde, verwandelt in eine Nachtigall, gefangengehalten wird, begleitet Hoffmann mit sieben grossen Farbholzschnitten („Jorinde und Joringel“, Birkhäuser, Basel, 1969)Wohl findet Joringel die rettende Blume und die Befreiung gelingt, aber die Zaubermacht der Waldeswildnis bleibt dem Hörer und Beschauer eine unheimliche Gewissheit.

Als gelte es mit einer grossen Geste Abschied zu nehmen von seiner Heimatwelt und von der Festlichkeit des starkfarbigen Holzstocks hat Felix Hoffmann ein Jahr vor seinem Tode drei Dutzend Schweizer Volkslieder mit dreissig einfarbigen und acht vierfarbigen Holzschnitten in einem stattlichen Bande zusammengefasst. Die einfarbigen Drucke sind von der gleichen rauhen, schwarzflächigen Prägung wie in dem Band “Drei Dutzend Fabeln von Äsop“ (Flamberg, Zürich, 1968). Mag der Text zu den Fabeln von seinem schwäbischen Übersetzer Steinhöwel her (1476/77) in einem einigermassen flüssigen Neuhochdeutsch vorgetragen worden sein – die Tiere sprechen unverfälschtes Schweizerdeutsch, gaumig und derb, wie es Wald und Fels gern zurückwerfen. So auch spricht das Bild in dem Volksliederband „Es taget vor dem Walde“ (Graphische Fachschule Aarau, 1974). Hoffmann hat für Japan, für die USA und viele andere Länder gearbeitet und deren Sprache wurde den Bildern beigefügt, die alle diesen oder jenen schweizerischen Gesichtszug tragen. Das hat den Bildern nichts ausgemacht. Es ist ja die Eigenart des Bildschaffens, dass es sich der Deutung von vielerlei Menschen fügt – anders als das Wort, das bedeutungsgenau und national festgelegt ist. Immerhin ist es ein merkwürdiger Glücksfall, dass ein amerikanischer Illustrations- auftrag mit englischem Text zu einem Buch gehört, dessen Schauplatz die Schweiz ist (Thomas Mann, „The Magic Mountain“, Limited Editions Club, New York, 1962). Es ist erstaunlich, wie Felix Hoffmann eine durch Krankheit entrückte Gesellschaft in den schweizerischen Bergen anzusiedeln versteht. Er versteht den Dichter des Zauberbergs bis in die letzte Freiheit. Der Betrachter der Illustration wie der Leser des Textes, beide empfinden den schmerzlichen Kontrast zwischen dem Klima der strengen Landschaft und der wohltemperierten Zivilisation des Sanatoriums.  Hier wäre der saftige Langholzschnitt nicht am richtigen Platz, wohl aber ist es der hochdifferenzierte Holzstich mit seinen blassen, ganz hellen Hintergrundflächen. – Nicht häufig, aber in wenigen bedeutsamen Fällen hat Felix Hoffmann der Lithographie bedient. Den frühen Beispielen steht voran die „Bilderbibel“ (Zwingli Verlag, Zürich, 1961)mit nicht weniger als 100 Steinzeichnungen in kreidiger Manier. Für Hoffmann ist die Lithographie das Gestaltungsmittel für die breite, gemächliche und sachgenaue Berichterstattung mit tieferer Bedeutung und Beispielhaftigkeit. Gerade dazu gehört ja Unaufdringlichkeit und Ausführlichkeit. Um so sorgfältiger sorgt Hoffmann für starke Individualität in den Gesichtern. Mitten in der folge von solchen Lithographien hat unser verehrter und geliebter Graphiker sein Werk im Frühsommer 1975 verlassen müssen, nämlich bei der Arbeit na seiner breit angelegten Illustration zu einem geschichtlichen Thema, in dem die Idee von Bürgertugend und Opfersinnverwirklicht worden ist. Auf 21 Blättern sollte die Geschichte der „Bürger von Calais) – bekannt geworden durch die grosse Plastik Rodins – in epischer Breite dargestellt werden. Was fertig geworden ist, samt allem Unvollendeten, wurde unter Beifügung des Chroniktextes von Jean Froissart veröffentlicht (Übersetzung von Ulrich Friedrich Müller, Langewiesche-Brandt, Ebenhausen b.München, 1975). Bewundernswert ist Hoffmanns klare und energische Strichführung, die unheimliche Ruhe in der dramatischen Steigerung von Blatt zu Blatt. Es ist einer der grossen Opfergänge der Geschichte, eines der hohen Beispiele stellvertretenden Leidens im irdischen Bereich, abgewendet im letzten Augenblick durch die Hochherzigkeit der englischen Königin. Wir sehen ein paar Gesichter von bedeutender Prägung – die der sechs Bürger, die sich opfern wollten, sind allerdings nur im Umriss zu erkennen. Stellvertretend für sie können wir den Kopf des Ritters Jean de Vienne, des Kommandeurs der Festung Calais, betrachten – ausserordentlich in seiner Durchgeistigung und Leidensbereitschaft.

 Den Seinen und den Freunden seines Werkes viel zu früh hat Felix Hoffmann aufbrechen müssen, während einer Arbeit, die, vollendet, zu den bedeutensten seines Schaffens gehört hätte. War das nicht seiner Art gemäss? Musste es nicht so kommen – als Abschluss eines Daseins, das unerschöpflich schien an Wünschen und an Kräften, an Weite und an Fülle? Ein erfülltes Leben braucht nicht volle siebzig oder achtzig Jahre dauern. Was er uns hinterlassen hat, ist imstande, viele Menschenleben zu bereichern und viele Jahrzehnte zu verschönen.

 

erschienen in „Felix Hoffmann“ Retrospektive, Aargauer Kunsthaus Aarau, 1977